Kalt war’s, geregnet hat’s auch, und trotzdem sind sie alle gekommen: Die Hochzeitsfotografen, Stylisten, Locationbetreiber, Floristen, Musiker, Grafikdesigner, Trauredner, Hochzeitsplaner, Konditoren, Brautmode-Verkäufer, Goldschmiede und Dekoverleiher. Das, was die Münchner Hochzeitsbranche am 9. Juni mitten auf dem Marienplatz auf die Beine gestellt hat, war ein Hilferuf. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit, ein Ausrufezeichen, das die Branche bundesweit bewegt.
Eine Branche vor dem Abgrund
Warum das aus Sicht der Dienstleister nötig war? Weil die Medien bislang fast ausschließlich über die Auswirkungen von Corona auf Hochzeitspaare berichten, über geplatzte Träume, über organisatorische Desaster – aber kaum darüber, dass eine komplette Branche vor dem Abgrund steht. Mädels, mal ehrlich: Natürlich ist das ärgerlich, wenn man die Hochzeit wegen Corona verschieben muss. Natürlich ist das stressig, natürlich beschert einem das schlaflose Nächte und kostet womöglich auch Gebühren und Change-The-Date-Karten-Druckkosten, die nicht eingeplant waren. Aber Corona bringt vermutlich kaum ein Brautpaar an den Rand des wirtschaftlichen Ruins.
Hochzeitsdienstleister in der Existenzkrise
Ich möchte die bundesweite Aktion #StandUpForLove des Bundesverbands deutscher Hochzeitsdienstleister deshalb als Anlass nutzen, um mal auf die andere Seite zu schauen, auf die Seite der Menschen nämlich, die eure Hochzeitsfeiern erst möglich machen. Ich kenne viele Hochzeitsdienstleister, die bringt Corona derzeit nicht nur zum Weinen, weil ein Datum um ein Jahr verschoben wurde. Da stehen Existenzen auf dem Spiel – und ich meine wirklich komplette Existenzen. Da stehen Menschen vor der Frage, ob sie ihre Miete am Ende des Jahres noch zahlen können, da beantragen Fotografen Grundsicherung oder bewerben sich um Minijobs, nur um irgendwie dieses Jahr zu überstehen.
Branche ohne Perspektive
Das Problem: Die Hochzeitsbranche ist eine Nischenbranche – und doch geht es jedes Jahr um ein Milliardengeschäft, das tausenden Menschen Arbeit sichert. Eine Lobby hat die Hochzeitsbranche nicht. Aber all die Menschen, die gemeinsam Hochzeiten organisieren, ausstatten und zu dem machen, was ihr auf Instagram, Pinterest und Facebook seht, all diese Menschen stehen seit Monaten vor dem Nichts. Schlimmer noch: sie haben keine Perspektive, wie es für sie weitergeht, weil unklar ist, wann Feiern künftig wo wie stattfinden können.
#StandUpForLove in München
Mit der Aktion #StandUpForLove hat die Branche Anfang Juni zeitgleich in vielen Großstädten bundesweit für Aufsehen gesorgt. Ob in Berlin, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, Freiburg oder München, die Organisatoren sind sich einig: „Wir stellen den Lockdown nicht in Frage, die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus sind und waren richtig und notwendig. Das ist uns extrem wichtig zu betonen“, sagt Doreen Winking, Münchner Hochzeitsplanerin und Mitorganisatorin der Aktion in Bayern. Die Hochzeitsbranche erlebe derzeit wegen Corona eine lebensbedrohliche Situation. Bundesweit seien tausende Unternehmen und Soloselbstständige betroffen. Der Branche fehle es nicht nur an Richtlinien zur Umsetzung von Hochzeiten, sondern auch die „wirtschaftliche Perspektive sowie Pläne zum finanziellen Ausgleich der Einnahmeverluste seitens der bayerischen Politik“. Darauf hätten die Demonstranten auf dem Marienplatz hinweisen wollen.
Corona einfach aussitzen?
Solche dramatischen Worte bewegen natürlich auch mich. Nach bald sechs Jahren als Hochzeitsbloggerin kenne ich viele Hochzeitsdienstleister persönlich, manche sind zu engen Freunden geworden. Das, was sie derzeit durchmachen, wünsche ich niemandem. Als Bloggerin mit diversen Standbeinen kann ich so eine Zeit zähneknirschend aussitzen, auch wenn der Blog derzeit auf dem Papier natürlich ein reines Verlustgeschäft bedeutet. Aber mein Blog lässt sich für mich nicht auf schwarze oder rote Zahlen reduzieren. Hochzeitsgezwitscher ist „mein Baby“, meine Passion, gegründet aus der Liebe zum Schreiben, zum Berichten, zur Branche, zum Schönen in dieser rauen Welt. Ähnlich geht es auch den meisten professionellen Dienstleistern. Sie brennen für ihren Beruf – mit dem Unterschied, dass sie oft kein weiteres berufliches Standbein haben, das sie eine solche Krise mal eben monatelang aussitzen lässt.
Worüber kaum jemand spricht
„Natürlich hatte ich in den vergangenen Woche echte Tiefpunkte, als wochenlang keine einzige Mail kam, keine Anfrage, nichts. Ich habe sogar meinen E-Mail-Server geprüft, ob der vielleicht defekt ist“, sagt Planerin Doreen. „Was mich trotzdem motiviert, sind die Paare. Nach der Schockstarre fragen jetzt wieder Leute an, die 2021 heiraten wollen. Gleichzeitig brauchen diejenigen Unterstützung, die 2020 eigentlich heiraten wollten, aber jetzt ihre große Feier verschoben haben.“ Was Doreen nicht sagt, worum es aber geht, wenn wir über wirtschaftliche Schicksale sprechen: Die Verschiebe-Organisations-Unterstützungs-Beratung für ihre Paare machen die meisten Dienstleister kostenlos. Und auch, wenn die ersten Anfragen für 2021 kommen – Versicherung, Autokredit, Miete oder der Wocheneinkauf lassen sich nicht mit E-Mails bezahlen.
50 Dienstleister demonstrieren stellvertretend für die Hochzeitsbranche
Aber zur Aktion der Hochzeitsbranche #StandUpForLove: ich wusste über Kontakte von der Demonstration, die vergangene Woche auf dem Marienplatz in München stattfand. Allerdings hatten die Organisatoren von Anfang an klar gemacht, dass sie keinesfalls gegen Corona-Regeln verstoßen wollen. Mehr als die 50 von der Stadt gestatteten Teilnehmer sollten es keinesfalls werden. Also haben wir uns bei Hochzeitsgezwitscher entschieden, das Thema nicht über den Blog, Insta oder Facebook publik zu machen, bis die Aktion vorüber ist.
Und was für eine Aktion das war! Diverse Medien von der ARD über die Süddeutsche bis zu Radio Gong haben berichtet, und auch, wenn das Wetter den Organisatoren nicht gerade in die Karten spielte: beeindruckend sah die lange Tafel trotzdem aus, die da mitten auf dem Marienplatz stand. 50 Dienstleister standen dahinter und hielten in coronakonformen Abstand zueinander Schilder hoch mit den Berufen und Tätigkeiten, für die sie beispielhaft für ihre tausenden Kollegen gekommen waren. Passanten musste einfach klar werden, welche Dimension Corona für die Hochzeitsbranche bedeutet. Denn vom Konditor über den Locationbetreiber bis zum Grafikdesigner und Fotografen treffen abgesagte oder verschobene Hochzeiten nicht nur eine Branche, sondern ein ganzes Dutzend verschiedener Professionen.
Appell an die Politik
Die Aktion #StandUpForLove will Antworten auf die drängendsten Fragen, nämlich, wie es weitergehen soll für eine Branche, der der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. „Auch wenn wir keine Lobby haben wie die Autoindustrie, so wollen wir doch ins Gespräch kommen mit der Politik“, sagt Doreen. „Ich weiß nicht, in welcher Form genau, aber wir brauchen Hilfen wie die Autoindustrie oder die Gastronomie. Ob das am Ende steuerliche Erleichterungen sind oder Unterstützungen jenseits der Einmalhilfe, wird man sehen müssen. Wir suchen jedenfalls das Gespräch!“ Einen entsprechenden Brief haben die Organisatoren auch an Bundeskanzlerin Merkel geschickt. Jetzt liege der Ball bei ihr, auf den Hilferuf zu reagieren, sagt Doreen.
Beteiligte Dienstleister
Die Aktion #standupforlove ist eine Initiative und ein Konzept von beyond tales & Ankatrin Andresen in Kooperation mit dem Bundesverbands deutscher Hochzeitsdienstleister.
ORGANISATION in BAYERN myprettywedding.de & Doreen Winking | FILM redanvil_pictures | FOTOS Die 7. Wolke/Katerina Kepka & Loredana LaRocca | SUPPORTER @myprettywedding.de / @alles_klar_muenchen @lovely_table_for_you @innawiebe_com / @classyflowers_muenchen